Inklusiv Innovativ Intuitiv

25 Jahre Theaterensemble Götterspeise

Das 15-köpfige Bielefelder Tournee-Theater Götterspeise gehört seit 25 Jahren zu den Pionieren der inklusiven Kulturarbeit. Europaweit auf Tour macht das Theaterensemble auf die Situation von und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung aufmerksam. Mit Stücken, die ebenso bissig wie humorvoll herkömmliche Denkmuster hinterfragen.

25-jähriges Jubiläum, 18.9.21, Theaterhaus Tor 6 / Foto: Sarah Jonek

1996 initiierte der Verein „Forum für Kreativität und Kommunikation“ in Kooperation mit „Sport und Kultur Eckardtsheim das inklusive Theaterensemble Götterspeise. Vorangegangen waren provozierende Aktionen in deutschen Großpsychiatrien in den 1980er Jahren, die auf die anhaltende Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung oder mit psychischen Erkrankungen aufmerksam machen sollten. 1986 näherte man sich dem Thema in Eckardtsheim auf künstlerischem Weg und organisierte eine gemeinsame Aufführung mit dem italienischen Ensemble teatro Nucleo. Menschen mit und ohne Behinderung standen gemeinsam auf der Bühne und stellten herkömmliche Denkweisen auf den Kopf. Durch das rege Interesse etablierten sich inklusive Theaterprojektwochen, 1989 entstand der theaterpädagogische Verein und das freie Theater Forum für Kreativität und Kommunikation, der heute die federführende Verantwortung für das inklusive Ensemble Götterspeise trägt. Die Theatergruppe wurde 1996 bewusst als Tournee-Theater konzipiert. Die drei Regisseure/Innen Christel Brüning, Diemut Döninghaus und Martin Neumann leiten das Ensemble als Team und inszenieren sämtliche Produktionen gemeinsam. Vor jeder neuen Produktion finden offene Castings statt; alle Interessierten können Teil des Ensembles werden. Die Vielfalt der DarstellerInnen und ihrer Erfahrungen spiegelt sich in den Stücken wider. Ob gemeinsam neu geschrieben oder an ein bereits existierendes Stück angelehnt: In jedem Fall finden eigene Texte, Gedanken und Gefühle der DarstellerInnen ihren Platz darin. So haben die SchauspielerInnen die Möglichkeit, gesellschaftskritisch, humoristisch und künstlerisch ihre Gedanken auf die Bühne zu bringen, „Anders-sein“ als Vielfalt und Stärke zu thematisieren.

www.forum-info.de

Neue Produktion:

UNTER STROM

Nach dem Stück „Die Nashörner“ folgt im Januar 2021 die mit dem Ensemble entwickelte Eigenproduktion „Unter Strom“. Jede/r merkt es. Es ist hörbar, riechbar, sichtbar. Es schleicht sich dauerkrisenhaft in unsere Wirklichkeit. Nicht nur die Bienen verschwinden. Alles unter Strom: Menschen, Tiere, Meere, Lüfte, Gesundheit, Politik, Wirtschaft. Die Welt ist nicht erst durch Corona aus der Balance geraten. Wandel und Veränderung sind ständige Begleiter. Kriegen wir noch einmal die Kurve oder fliegen wir raus? Weiter so? Gesellschaftlicher Wandel durch Inklusion und Teilhabe? Den Lauf der Dinge verändern? Das Rad der Geschichte anhalten? Alles riskieren? Mut zum Scheitern!

Premiere: 28.1.21, 19:00 Thekoa-Saal (Paracelsusweg 1, 33689 Bielefeld)

Zusammenhalt zählt

Jede/r kann etwas ganz Besonderes

25 Jahre. Ein grossartiges Jubiläum. Das Geheimnis des Erfolges der Theatergruppe Götterspeise verraten uns Tanz- und Theaterpädagogin Diemut Döninghaus, Regisseurin und Theaterpädagogin Christel Brüning, Regisseur Martin Neumann sowie Diplom-, Medien- und Theaterpädagoge Norbert Diekhake im Interview.

WAS BRAUCHT ES, UM 25 JAHRE GEMEINSAM THEATER ZU SPIELEN?

Diemut Döninghaus: Begeisterung für Theater, Lust sich in kreative Prozesse zu begeben, sich auf Menschen einlassen, sich überraschen lassen von den Ideen der Akteur*innen, Entdeckungsgeist, jede/n einzelne/n wahrnehmen und seine eigene Idee weiterverfolgen oder auch fl exibel zu sein und sie zu ändern. Spaß daran, miteinander etwas auszuprobieren, auch mal zu streiten, neue Wege zu finden.

Christel Brüning: Jede und jeden im Ensemble so zu nehmen, wie sie/er ist. Und wir sind sehr lebendig. Diese Lebendigkeit umhüllt uns mit einer besonderen Atmosphäre. Es gibt natürlich unterschiedliche Handicaps, aber dafür kann jeder und jede etwas ganz anderes Besonderes. Das zu zeigen, braucht Vertrauen und Mut und erstaunt uns in dem gemeinsamen kreativen Prozess immer wieder. Wir schätzen uns und unsere Ideen, fühlen uns ernst genommen und probieren die verrücktesten Ideen aus, was uns oft herzlich lachen lässt.

Martin Neumann: Von Beginn an haben mich in der inklusiven künstlerischen Arbeit der Mut, die Aufrichtigkeit der Akteur*innen, aber auch die zeitweilige „Unberechenbarkeit“ der Produktionsprozesse fasziniert.

Norbert Diekhake: Zusammenhalt im Ensemble und Team, viel ehrenamtliches Engagement und Erfahrung, die wir im Forum in über 30 Jahren gewinnen konnten. Aber natürlich auch angemessene fi nanzielle Unterstützung und Planungssicherheit. Wir sind froh, seit dem letzten Jahr in die 3j. Konzeptionsförderung des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur des Landes NRW aufgenommen zu sein, die allerdings als Co-Förderung bewilligt ist. Langjährige Partner sind von Anfang an ebenso das Begegnungs- und Freizeitzentrum Eckardtsheim, Bethel.regional und seit einigen Jahren proWerk Bethel. Hier braucht es einen langen Atem und Durchhaltefähigkeit, um auch finanzielle Engpässe und Planungshindernisse zu überwinden.

WORAUF SIND SIE BESONDERS STOLZ?

Diemut Döninghaus: Wirklich inklusiv zu sein, jede/r gibt herein, was sie oder er kann, an Qualitäten hat und das ist so unterschiedlich und so gut. Einzelne ergeben ein großes Ganzes. Besondere, sehr unterschiedliche Produktionen gemacht zu haben, auf die Qualität der Produktionen und überhaupt mit dieser 20-köpfigen Gruppe ein Tourneetheater zu sein.

Christel Brüning: Darauf, dass alle zwei Jahre aus dem kreativen Chaos mit viel Arbeit ein Theaterstück realisiert wird. Aber auch, dass die Meisten im Ensemble über Jahrzehnte zusammen und bei uns bleiben, dass sich unsere Stücke durch eine unverwechselbare Ästhetik auszeichnen.

Martin Neumann: So viele Jahre in einem kontinuierlich zusammenarbeitenden kreativen Regieteam und einem solch lebendigen und einsatzfreudigen Ensemble arbeiten zu können.

WAS HAT SICH IN SACHEN INKLUSION SEIT DER GRÜNDUNG VERÄNDERT?

Norbert Diekhake: Inklusion ist vor 25 Jahren eindeutig noch ein völliges Randthema gewesen. Wir waren damals mit wenigen anderen Pioniere. Verbessert hat sich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit für dieses besondere Thema, sichtbar an der heutigen Vielfalt der unterschiedlichen „special arts“-Gruppen landesweit.

Diemut Döninghaus: Mittlerweile ist Inklusion oft das Thema in Städten, barrierefrei etc., es gibt aber noch viele Barrieren, die beseitigt werden müssen. Wenn man nicht mehr von Inklusion spricht, dann haben wir es geschafft. Davon sind wir noch weit entfernt.

Martin Neumann: Theaterarbeit, künstlerisch wie pädagogisch, war und ist nach wie vor ein erfolgreiches Proben- und Übungsfeld für Inklusion. Und als „best practice“ nach wie vor notwendig.

WAS VERPASSEN MENSCHEN, DIE NOCH NIE EIN STÜCK DER THEATERGRUPPE GÖTTERSPEISE GESEHEN HABEN?

Alle: Gutes Theater: berührend, witzig, bissig, besonders und unterhaltsam.

Christel Brü ning, Diemut Döninghaus, Martin Neumann (v.l.)

LESELUST


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