RAYCHEN
Weltgewandt und charismatisch
Bruchs berühmtes Violinkonzert ist 150 Jahre alt, aber der furiose australisch-taiwanesische Geiger Ray Chen holt es ins heute.
Rudolf-Oetker-Halle, 29.4.21, 20:00 (Ersatztermin für den 30.4.20. Alle Abonnements und Einzelkarten behalten für den neuen Termin ihre Gültigkeit.)
Mit dem WDR Sinfonieorchester Köln kommt der stilsichere virtuose in die Rudolf-Oetker-Halle und hat noch dazu die „Sinfonia Domestica“ von Richard Strauss im Gepäck. „im Frühjahr 2020 mussten wir wegen des Lockdowns zahlreiche Konzerte absagen. Für diese Konzerte Ersatztermine zu finden, war unser Ziel“, erklärt Veranstalter Till Schoneberg. Durch die langfristige Tourplanung spielt das Orchester jetzt unter der Leitung von Marek Janowski allerdings mit einem geänderten Programm auf und gastiert – fast auf den Tag genau – ein Jahr später, am 29. April 2021, in Bielefeld.
[Ray Chen] als Tschaikowsky-Volltreffer …
HAMBURGER ABENDBLATT
der australisch-taiwanesische Stargeiger, Jahrgang 1989, streicht sein Instrument mit einer staunenswerten Souveränität und Perfektion.
Immer geht er volles Risiko: mit mehr Druck, mehr Attacke, mehr Piano, mehr Tempo – atemlos hört man ihm zu. Seine Interpretationen haben eine Frische und Klarheit, die man nicht so schnell vergisst. Auf Bruchs Violinkonzert, das den Auftakt bildet, folgt Richard Strauss‘ „Sinfonia domestica“. Das WDR Sinfonieorchester steuert eine Art tönende Homestory bei, einen humorvollen Blick ins Familienleben des Komponisten samt Wiegenlied und fugiertem Ehekrach. Als Zuhörer kann man sich jedoch ganz entspannt zurücklehnen und den Moment genießen. Denn Ray Chen, der seine Lebensmittelpunkte in den USA und Berlin hat, gehört zu den Solisten, die selbst in den herausforderndsten Momenten ihr Instrument souverän beherrschen. Seit seinen ersten Preisen beim Yehudi-Menuhin-Wettbewerb (2008) und dem Königin-Elisabeth Wettbewerb (2009) gehört Ray Chen zu den gefragtesten Geigern seiner Generation. Die Wettbewerbe waren für ihn erstklassige Türöffner: Im Anschluss war er weltweit unterwegs und trat mit zahlreichen großen Orchestern auf. 1989 in Taipeh, Taiwan, geboren wuchs Ray Chen im australischen Queensland auf und begann bereits mit vier Jahren das Violinenspiel. Für sein erstes öffentliches Konzert folgte er – da war er gerade mal acht Jahre alt – einer Einladung der olympischen Winterspiele in Nagano und trat gemeinsam mit dem Queensland Philharmonic Orchestra auf. Als er schließlich in das Curtis Institute of Music aufgenommen wurde, war er 15 Jahre jung. Neben Peter Zhang vom Konservatorium in Sydney unterrichteten ihn unter anderem Aaron Rosand, David Cerone, Pamela Frank und Joseph Silverstone. Zudem besuchte er Meisterkurse bei Cho-Liang, Antje Weithaas und Rudolf Koelman. Ray Chen ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der jungen Klassikszene. Dabei beeindruckte der sowohl weltgewandte als auch charismatische Geiger bereits in der Vergangenheit mit aufsehenerregenden Projekten, mit denen er sich mehrfach über Genregrenzen hinweg in die Herzen seiner Zuhörer gespielt hat.
Er defi niert neu, was es heißt, ein klassischer Musiker im 21. Jahrhundert zu sein. Ein Blick auf seine FacebookSeite zeigt, dass er eine große Fangemeinde hat: 257k Abonnenten (Stand September 2020) folgen ihm. Man schaut ihm zu, wie er während des Lockdowns zuhause ein Studio einrichtet – auf den Knien und mit dem Akkuschrauber in der Hand –, sich auf dem Hometrainer abstrampelt, auf YouTube Pferden eine Kostprobe seines Könnens präsentiert oder nach einem Konzert seine Fangemeinde jubelnd aufnimmt. Ray Chen ist durch seine Aktivitäten auf den sozialen Plattformen greifbar, ist nicht nur Künstler, sondern Mensch. Auf diese Weise trägt er die Klassik in die Welt – über die Grenzen des klassischen Publikums hinaus. Ein neues Publikum über Social-Media zu generieren, ist für den erfolgreichen Geiger durchaus eine Option. „Es wird natürlich immer Leute geben, die zu den Konzerten kommen. Dann gibt es aber auch gerade viele jüngere Menschen, die von klassischen Konzerten ein wenig abgeschreckt sind, aber durchaus ein Instrument spielen oder lernen, weil es einfach ein Teil ihres Bildungsanspruchs ist. Wenn wir als Musiker nun ein wenig härter daran arbeiten, diese Leute zu erreichen, generieren wir ein ganz neues Publikum“, stellte er im Interview mit Johann Buddecke für Concerti fest. Und angesprochen auf sein liebstes nicht-musikalisches Abenteuer verrät er: „Ich liebe die Natur, daher ist mein idealer Abenteuerort Hawaii. Dort gibt es so viele schöne Wanderrouten auf verschiedenen Inseln und genauso schöne Strände. In Australien fi ndet man das auch, aber es ist viel größer und damit hängt es davon ab, wie viel Zeit man hat, um sein Abenteuer zu genießen.“ Zeit, sich auf das Abenteuer einzulassen, diesen virtuosen Geiger zu erleben, sollten sich dagegen die Bielefelder nehmen.
The tone he gets is almost human in its slight graininess and glow.
THE WASHINGTON POST
CD-TIPPS
SOLACE
erschienen im August 2020
Sein aktuelles Album Solace hat Ray Chen während des Lockdowns eingespielt und greift dafür zu der stärkenden,
tröstenden und heilenden Kraft der Musik Bachs. Bachs „Sei Solo”, Sonaten und Partiten für Solovioline BWV 1001–1006” aus dem Jahr 1720.
Fotos: Tillmann Franzen, John Mac
Text: Corinna Bokermann