Magnus Lindgren

Artist in Resicence

Tief im Groove verwurzelt

In Bielefeld wurde er in den letzten Jahren zur Schlüsselfigur aufsehenerregender Jazzkonzerte, in denen die Bielefelder Philharmoniker auf Till Brönner, Max Herre und Take 6 trafen. Wenn er in diesem Herbst in der Rudolf-Oetker-Halle auftritt, ist Magnus Lindgren erstmals als Artist in Residence zu hören. Der schwedische Jazz-Musiker, der mit 13 Jahren das Saxofon für sich entdeckte, mit gerade mal 25 Jahren für sein Debütalbum Way out für den schwedischen Grammy nominiert wurde und ihn 2001 für das Bigband-Album Paradise open erhielt, arbeitete bereits mit unzähligen etablierten Künstler*innen wie Herbie Hancock, Gregory Porter oder John Beasley zusammen. Der 46-jährige, der im April dieses Jahres Vater geworden ist, hat sich als Arrangeur, Komponist und Dirigent einen Namen gemacht. Der begnadete Saxofonist und vermutlich einer der besten Jazz-flötisten, den Europa derzeit zu bieten hat, spielt außerdem noch Klarinette. Nur Geige oder Cello sind nicht seins, wie er im Interview charmant verrät.

SIE SIND IN DER KOMMENDEN SAISON ARTIST IN RESIDENCE DER BIELEFELDER PHILHARMONIKER. WAS BEDEUTET IHNEN DAS?

Also, zunächst einmal bin ich einfach nur sehr glücklich, dass sie mich gefragt haben. Ich war schon immer ein sehr eigenwilliger Jazzmusiker, ein ausgesprochener Jazz Nerd, der sich völlig auf die Musik fokussiert hat – alles andere war mir egal. Aber ich wollte meine Musik immer auch genreübergreifend entwickeln. Als Komponist, beispielsweise für die Nobelpreis-Verleihung 2003 – daraus resultierte mein Album „The Game“ – und in Zusammenarbeit mit Pop Stars oder Symphonieorchestern. Ich bewundere klassische Musiker und Orchester und bin einfach glücklich aus der Zusammenarbeit zu lernen. Denn durch die unterschiedliche Herangehensweise entwickelt sich eine neue Dynamik. Es ist ein Ansatz, um zwei Welten zusammenzubringen. Und die Möglichkeit zu haben mit einem jungen, aufgeschlossenen, großen Orchester wie den Bielefelder Philharmonikern zusammenzuarbeiten, macht einfach Spaß. Darauf freue ich mich.

WAS WOLLEN SIE WÄHREND DIESER ZEIT ERREICHEN?

Ich möchte das Orchester weiterentwickeln und Verbindungen zwischen Klassik und Jazz erkunden. Manche nennen das Crossover, aber ich finde das hört sich wie ein Kompromiss an. Es geht vielmehr darum, das Beste von beiden Seiten zu kombinieren. Das ist das Ziel. Ich freue mich auf die Verantwortung. Vor zehn Jahren hätte ich das noch nicht gewagt. Jetzt freue ich mich darauf, die Tür zu etwas Neuem zu öffnen. Ich kann es kaum erwarten, gemeinsam zu spielen.

GIBT ES EINEN UNTERSCHIED MIT EINER BIG BAND ODER EINEM KLASSISCHEN ORCHESTER WIE DEN BIELEFELDER PHILHARMONIKERN ZU SPIELEN?

Ja, es gibt Unterschiede. Zum einen ist ein Orchester viel größer als eine Big Band und dadurch ist auch der Abstand beziehungsweise die Nähe zueinander anders. Ist beim Jazz das Schlagzeug der rhythmische Taktgeber, besteht beim Orchester die Herausforderung darin, mit vielen im Takt zu spielen. Ebenso, wie die Art und Weise einzelne Stellen zu interpretieren; die Spielweise muss man daher sehr genau beschreiben. Oft singe ich dann einfach eine kleine Sequenz und schon ist klar, wie es sein soll.

WAS HABEN JAZZ UND KLASSIK AUS IHRER SICHT GEMEINSAM?

Sowohl Jazz als auch Klassik sind sehr komplex. Dies gilt es zu entdecken! Es gibt keinen Rahmen, der uns in irgendeiner Art und Weise daran hindert, neues Terrain zu erforschen, eine Brücke zwischen beiden musikalischen Genres zu schlagen. Außerdem sind die Musikerinnen und Musiker gut ausgebildet und lebenslanges Lernen ist für sie unmittelbar mit ihrem Beruf verbunden.

NEBEN DEM SAXOFON SPIELEN SIE KLARINETTE UND FLÖTE. SPIELT EINES DER DREI INSTRUMENTE IN IHREM LEBEN DIE HAUPTROLLE ODER STEHEN SIE GLEICHBERECHTIGT NEBENEINANDER?

Das Saxofon war – da war ich 13 – mein erstes Instrument. Mein Vater hatte ein Musikgeschäft und ich die Option viele unterschiedliche Instrumente auszuprobieren. Fast parallel kam die Flöte dazu. Sie steht bei meinem letzten Projekt, ‚Stockholm Underground‘, eine Hommage an Herbie Man, im Fokus. Und das Klavier hilft mir beispielsweise, wenn ich schreibe. Es ist also nicht so sehr das Instrument selbst, es ist ‚nur‘ das kreative Ausdrucksmittel am Ende der Kette. Allerdings, Cello und Violine, obwohl ich inzwischen auch eine besitze, spiele ich dann doch nicht.

WANN WAR IHNEN KLAR, DASS SIE MUSIKER WERDEN WOLLTEN?

Das war mit 13 – als ich angefangen habe, Saxofon zu spielen. Ich war fasziniert von der Bebop-Szene der Fifties in New York und habe mir in der Bibliothek ein Buch über Charlie Parker ausgeliehen. Meinen ersten Gig hatte ich dann mit der Band meines Vaters, die Tanzmusik spielte. Ich bin für den Schlagzeuger eingesprungen. Da war ich 14. Ich liebte es! Dieses Gefühl habe ich immer noch und kann es kaum in Worte fassen!

SIE HABEN SICH NICHT NUR ALS INSTRUMENTALIST EINEN NAMEN GEMACHT, SONDERN AUCH ALS KOMPONIST UND ARRANGEUR. CHARLIE »BIRD« PARKER WÄRE DIESES JAHR 100 JAHRE ALT GEWORDEN. IN BIELEFELD REALISIEREN SIE GEMEINSAM MIT JOHN BEASLEY EIN CHARLIE PARKER FEATURE FÜR BIG BAND UND STREICHENSEMBLE. EIN TRAUM?

Ja! Charlie Parker hat mich nachhaltig inspiriert. Eigentlich hätten John Beasley und ich in diesem Jahr schon auf der Hollywood Bowl in L.A. frisch arrangierte Aufnahmen von Parkers Klassikern im Rahmen der Dave Brubeck and Charlie Parker Centennial Celebration präsentiert. Unsere Arrangements haben wir online diskutiert und zusammengebracht. In ihnen fließen die Spielfreude mit den musikalischen Visionen Parkers ein. Ihm ist auch das neue Programm der SWR Big Band gewidmet, mit der ich seit 2018 als Artist in Residence eng verbunden bin.

WAS IST DER BESTE RAT, DEN SIE ERHALTEN HABEN?

Wenn ihr eine zweite berufliche Option habt, wählt diese. Eine gute Freundin, die Schauspielerin ist, hat mir einmal erzählt, was sie ihren Studenten rät. Denn Schauspieler oder Musiker zu sein ist hart. Wer auf der Bühne steht, sollte diesen Moment – trotz Drucks oder Nervosität – unbedingt wollen und genießen können. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich allerdings während eines Flugs von Stockholm nach Frankreich. Wir hatten Verspätung, ich wurde nervös, war etwas verärgert und begann ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn. Er fragte mich, was ich mache und ich erzählte ihm, dass ich auf dem Weg zu einem Konzert sei. Als ich ihn nach einer Weile fragte, was er mache, erfuhr ich, dass er Herzchirurg ist. Ein Patient in Athen wartete wegen einer Herz-Transplantation auf ihn. Das hat alles relativiert. Wenn ich zu spät zum Sound-Check komme, stirbt keiner.

Rudolf-Oetker-Halle

  • 4.10.2020, 20:00

Im ersten Konzert als Artist in Residence bringt Magnus Lindgren seine
Band Stockholm Underground mit in die Rudolf-Oetker-Halle. Mit dabei sind außerdem Henrik Janson an der Gitarre, Bassist Lars »Larry D« Danielsson und Per Lindvall an den Drums.

  • 14.11.2020, 20:00

Das neue Programm der SWR Big Band ist Charlie »Bird« Parker gewidmet. Ein Feature für Big Band und Streichensemble, arrangiert von Magnus Lindgren und John Beasley. Im Repertoire finden sich Parker Kompositionen wie Scrapple from the apple, Confirmation oder Donna Lee.

  • Sommer 2021

BiPhil feat. Magnus Lindgren (das genaue Programm stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest).

Fotos: Till Brönner, Semmelroggen

Text und Interview: Corinna Bokermann

Neue Namen


ZUM AUFTAKT DER FEINEN, KLEINEN KONZERTREIHE „NEUE NAMEN“, VERANSTALTET VOM KONZERTBÜRO SCHONEBERG, SCHLÄGT SIE IM KLEINEN SAAL DER RUDOLF-OETKER-HALLE DEN ERSTEN TON AN.

TUBA


Sie ist das Instruments des Jahres 2024 und nach dem Horn, der Posaune und der Trompete bereits das vierte Blechblasinstrument, das auf diese Weise in den Fokus rückt. Sie ist das tiefste Blechblasinstrument und gehört zur Familie der Bügelhörner. 1835 – von Wilhelm Wieprecht und Carl Wilhelm Moritz in Berlin patentiert – ging sie aus verschiedenen Vorläufer-Instrumenten hervor. Der Landesmusikrat Schleswig-Holstein kürt übrigens seit 2008 jedes Jahr ein Instrument des Jahres.

Kreative Hood


Für Konzert-Freunde und Party-Menschen hat sich zwischen Bielefelder Westen und Hauptbahnhof in den vergangenen Jahren eine höchst spannende Szene entwickelt.

RAYCHEN


Bruchs berühmtes Violinkonzert ist 150 Jahre alt, aber der furiose australisch-taiwanesische Geiger Ray Chen holt es ins heute.