jamel sghaier
Kunst ist mein Leben
Wir sitzen in seinem Garten, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Immer wieder schweift sein Blick in die Natur. Für den 64-jährigen ist Kunst eine ganzheitliche und dabei sehr persönliche Erfahrung. Eine, die er am Ende des Prozesses teilt, wenn er mit seiner Kunst in die Öffentlichkeit geht. „dann wird daraus eine kollektive Erfahrung“, erklärt Jamel Sghaier.
Kunst in drei Dimensionen: Abstrakte Bilder stehen in seinem Atelier neben Skulpturen aus Holz und Metall. Im kreativen Spiel sind Formen und Farben ausdrucksstarke Elemente. Und folgen ihren eigenen Regeln.
So, wie die Grammatik bestimmten Regeln folgt, ordnet sich auch seine Kunst unter. Die geometrisch-technische Konstruktion ist das wichtigste Gestaltungsprinzip für den bildenden Künstler. Farbfl ächen, Linien und geometrische Grundformen liegen seinen Werken zugrunde.
Seine Bilder sind geprägt von Horizontalen und Vertikalen, die sich jedoch in ständiger Verschiebung gegeneinander befinden. „Wenn ich die Natur, Pfl anzen und Tiere betrachte, reduziert sich alles auf ihre Formen“, betont Jamel Sghaier. Er nutzt die Kraft der reinen, abstrakten Form, ohne die Restriktionen eines realistischen Bildes der Natur und verdichtet diese in der künstlerischen Form. Besonders bei kleineren Objekten sieht man, dass er als Künstler vorgefundene Formen aufnimmt. Sei es ein Einschnitt einer Kreissäge in einem Stück Abfallholz, der in der künstlerischen Bearbeitung zur Linie und damit formal umgedeutet wird. „Jamel Sghaier begreift solche geometrischen Strukturen in ihrer ästhetischen Funktion und lässt sie zu Bildelementen werden“, schreibt Kuratorin Elisabeth Lumme über die Arbeiten des Bielefelder Künstlers.
Am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn standen allerdings noch Porträts und Naturbilder, nach kurzer Zeit abgelöst durch erste abstrakte Werke. „Der Konstruktivismus und damit die Abstraktion sind mein Thema. Die Realität ist abstrakt“, stellt er fest. Farbe dient ihm dazu, die Form zu bestätigen. Sie ist für ihn wie eine Melodie, während die Form die rhythmische Basis liefert. Schwarz und Weiß dominieren als Grundfarben seiner flächigen Gestaltung.
Hinzu kommen geometrische Formen in den Eigenfarben der Materialcollagen, oder es sind gemalte Formen überwiegend in den Grundfarben Rot, Gelb oder Blau. Jamel Sghaier stellt dadurch einen kunsthistorischen Bezug zum Konstruktivismus her. Seit zwölf Jahren lebt der gebürtige Tunesier in Bielefeld. Ein Autodidakt. Nach seinem Studium an den Hochschulen Merchant Marine in Tunesien und Frankreich begann er seine berufliche Laufbahn als Kapitän der Handelsmarine. „Ich war immer vom Meer angezogen“, so Jamel Sghaier. Die Zeit zur See ermöglichte ihm Freiräume für seine künstlerische Tätigkeit. Nach seinen Dienstschichten verbrachte er die Zeit in seiner Kabine und malte auf alten Karten. 1986 gab es erste Ausstellungen, zunächst in Tunis. Es folgten Ausstellungen in Städten wie Kairo, Paris und Venedig sowie in Ländern wie Australien und den USA. Seit 1997 widmet er sich ausschließlich seiner Kunst, die er natürlich auch schon in Bielefeld einem breiten Publikum vorgestellt hat. Wenn er vor einer weißen Leinwand steht, hat er kein Bild im Kopf. „Kunst ist wie eine Meditation, sie kommt von innen“, sagt Jamel Sghaier mit Blick auf den kreativen Prozess. „Und da sie nicht durch einen intellektuellen Prozess entsteht, bleibt sie rein und im Jetzt.“
Doch am Anfang steht für ihn immer das Chaos. Das ist – so seine Einschätzung – nützlich, denn nur so fi ndet er zur Form. „Aus dem Chaos entsteht Ordnung. Sie taucht wie ein Insel aus dem Wasser auf“, sagt er mit Nachdruck. Kreativität ist für ihn nicht planbar, sondern ein Momentum, dass es zu nutzen gilt. Für ihn sowohl ein Moment der Überraschung als auch der Erkenntnis. Das Licht in sich selbst zu suchen, ist sein Anspruch. „Die Impressionisten sind in die Natur hinausgegangen, um das Licht zu finden“, philosophiert Jamel Sghaier. Seine Kunst entsteht um ihrer selbst willen. „Es ist für mich eine Bereicherung, wenn andere meine Arbeiten betrachten, eine eigene Verbindung dazu haben und vielleicht auch etwas ganz Anderes in ihr sehen“, stellt der Künstler fest. „Wenn man mit dem Denken aufhört, dann beginnt Kunst.“
Fotos: privat
Text: Corinna Bokermann