Raum für Kreativität
KULTURHAUS BIELEFELD
FÜR TIERE UND PFLANZEN GIBT ES BIOTOPE, IN DENEN SIE IDEALE LEBENSBEDINGUNGEN VORFINDEN. DOCH WAS BRAUCHEN EIGENTLICH KÜNSTLER*INNEN, UM IHR POTENZIAL ENTFALTEN UND MIT ANDEREN TEILEN ZU KÖNNEN? EINE GANZ KONKRETE ANTWORT DARAUF LIEFERT DAS KULTURHAUS BIELEFELD E. V. IM EHEMALIGEN FH-GEBÄUDE AN DER WERNER-BOCK STRASSE.
Seit 2019 teilen sich hier insgesamt 120 Künstler*innen 40 Ateliers. Aber das Gebäude bietet ihnen viel mehr als „nur“ Raum für Kreativität. „Wir wollen das schlummernde Potenzial der Stadt wecken“, unterstreicht Vorstandsmitglied Marvin Krühler. Der Musiker engagiert sich seit den ersten Planungen 2015 in der Initiative Ostblock – Kulturhaus Bielefeld e. V. „Wir wussten, dass der Bedarf riesig ist, tatsächlich war das Haus schnell belegt und aktuell gibt es Wartelisten.“ Auch Crystal Johnson, ebenfalls im Vorstand aktiv, war von der Idee eines Kulturhauses in Bielefeld sofort begeistert. „Teil der Gruppe zu sein, hat mich mitgerissen. Gemeinsam ein Haus zum Laufen zu bringen, sich für eine Sache zu engagieren, hat mich inspiriert, mir Lebensqualität und persönliches Wachstum gebracht“, so die Textildesignerin.
Während Marvin Krühler in der Gesellschaft viel „Nebeneinander“ beobachtet, ist das Kulturhaus für ihn ein Ort des Miteinanders. „Hier finden ernsthafte, echte, befruchtende, bereichernde und auch mal ermüdende Auseinandersetzungen statt“, lacht der Musiker. „Es ist ein Ort, an dem man dem Bedürfnis nach Gemeinschaft nachgehen kann.“ Angelika Schneidewind, die sich hier seit der ersten Stunde ein Atelier teilt, sieht das ähnlich. „Der Austausch untereinander bereichert“, unterstreicht die Musikerin und Bildende Künstlerin. „Gerade in Corona-Zeiten hat mir das Kulturhaus das Leben gerettet. Einfach nur zu wissen: Hier begegne ich Menschen, mit denen ich in der Pause draußen mal einen Kaffee trinken kann.“ Sie fühlt sich wohl, weil hier viele individuelle Künstlerinnen aller Altersgruppen und Sparten unter einem Dach aktiv sind. „Verschiedenste Professionen und Professionalität – davon lebt das Haus“, bestätigt Marvin Krühler. Allerdings ist es den drei Künstlerinnen ebenso wie dem gesamten Kulturhaus wichtig, mehr zu sein als ein Biotop, in dem Kunst und Kultur gedeihen. „Über Fragen der Stadtentwicklung habe ich vorher nie nachgedacht“, sagt Crystal Johnson. „Jetzt diskutieren wir, was wir für die Stadt bedeuten und ihr bieten können.“ Als Begegnungsort mit niedrigschwelligem Zugang zu Kunst und Kultur für alle wurde die Initiative Ostblock – Kulturhaus Bielefeld e. V. 2019 mit dem „CREATIVE Spaces“-Award des Landes NRW ausgezeichnet. Doch Marvin Krühler sieht noch Luft nach oben. Er wünscht sich mehr Vernetzung von Initiativen und möchte das bürgerschaftliche Engagement wecken. „Es ist schwer, den Menschen zu sagen: ‚Nun engagiert Euch mal‘“, weiß Angelika Schneidewind. „Aber wir glauben, dass Kunst und Kultur dazu beitragen können. Wir möchten Menschen ermutigen teilzuhaben, sich auszuprobieren, ihr Potenzial zu erkennen und ihr Statement einzubringen.“ Ganz konkret hat sie deshalb die „Creative Shortcuts“ mitorganisiert, ein spartenübergreifendes Workshop-Projekt, das bis September 2021 lief. „Dadurch konnten wir uns im Haus näher kennenlernen, aber auch Nachbarn ansprechen und ganz gezielt Quartiersarbeit machen“, so die Künstlerin. Für sie steht jetzt schon fest: Fortsetzung folgt. Die „Creative Shortcuts“ sind ein gutes Beispiel dafür, was sich die drei kulturpolitisch wünschen. „Bislang ist vieles auf Events ausgerichtet, bei denen zwar Künstler*innen dabei sind, aber es braucht Orte, an denen sie selbst aktiv werden können“, sagt Marvin Krühler. „An der FH Gestaltung werden zum Beispiel viele gute Leute ausgebildet, aber danach gehen sie weg. Dieses kreative Potenzial sollte man nicht vergeuden, sondern Anlaufstellen schaffen, damit sie sich auch hier ausprobieren können.“ Crystal Johnson bestätigt: „Sie müssen nicht nach Berlin abwandern, sondern können ihre Stadt mitgestalten.“ Genau so, wie es Angelika Schneidewind, Crystal Johnson und Marvin Krühler und viele andere im Kulturhaus bereits mit großem ehrenamtlichen Engagement tun. Dafür wünschen sie sich allerdings mehr Anerkennung. Etwa in Form eines 5-Jahres-Vertrages, statt nur der Zusicherung bis Ende 2022. Pläne für die Zukunft lassen sich schließlich nur mit mehr Sicherheit schmieden; und auch viele Fördergelder fließen nur bei langfristigen Verträgen. An Ideen, wie es mit dem Kulturhaus Ostblock weitergehen könnte, mangelt es jedenfalls nicht. Von ganz konkreten Veranstaltungen wie Konzerten, Lesungen, Kleinkunst und einem regelmäßigen Tag der Offenen Tür bis zu baulichen Veränderungen. „Das Haus hat unglaubliches Potenzial. Man könnte zum Beispiel das Dach begrünen, das wäre gut fürs Stadtklima und würde einen schönen, lebendigen Ort mit Aufenthaltsqualität schaffen“, so Marvin Krühler. „Das Kulturhaus ist das perfekte Umfeld, um noch sehr viel zu realisieren und in die Stadtgesellschaft einzuwirken.“
www.kulturhaus-ostblock.de