Ausgesprochen unaussprechlich
ALLE, DIE TEXTE FORMULIEREN, MERKEN SEIT GERAUMER ZEIT, DASS SICH IHR ARBEITSMATERIAL, IHR ZENTRALER WERKSTOFF SPÜRBAR ÄNDERT: DIE SPRACHE. WELCHER TAG WAR ES, ALS PETRA GERSTER, DAS GESICHT DER ZDF NACHRICHTENSENDUNG „HEUTE“, DAS ERSTE MAL DEN SOGENANNTEN GLOTTISSCHLAG LIVE IN DIE BERICHTERSTATTUNG EINFÜHRTE? GLOTTISSCHLAG? GEMEINT IST DAMIT DAS GESPROCHENE GENDERSTERNCHEN, DIE KLEINE PAUSE BEIM AUSSPRECHEN ETWA DES WORTES MITARBEITER*INNEN. ES WAR, ALS SEI EIN SCHALTER UMGELEGT WORDEN.
Im Deutschlandfunk wurde ab sofort ebenso gegendert wie bei 1live. Dahinter steckt die Absicht, Sprache gesellschaftlich gerechter zu machen, also diejenigen mitzunehmen, die sich durch das generische Maskulinum nicht mitgemeint fühlen. So wichtig dieses kulturelle Anliegen auch ist, man hatte das Gefühl, diese Veränderung war nicht aus der Gesellschaft selbst gewachsen, sondern es war ein Impuls von „oben“, also von denen, die die öffentlichen Diskurse heute anführen. Über die Auswirkungen dieser Veränderungen könnte man Essays und Bücher schreiben, diese kleine glossierende Sottise ist der denkbar falsche Platz dafür. Kurios aber ist der Fall der Tabu-Wörter, insbesondere das vielzitierte N-Wort. Keine Frage, das N- oder Z-Wort repräsentieren eine gesellschaftliche Einstellung, die zu Recht zu überwinden ist. Das musste kürzlich auch Annalena Baerbock erfahren. Sie hatte in einem Gespräch über Rassismus das N-Wort ausgesprochen und musste sich daraufhin in einem langen Twitter-Thread dafür entschuldigen, weil schon das Zitieren, das bloße Aussprechen des Worts den Rassismus „reproduziere“. So ging es auch der Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch, die für das Aussprechen des Wortes „Indianerhäuptling“ Abbitte leisten musste. Wo indes liegt das Verbrechen der beiden, fragte Livia Gerster in der FAS und gab selbst die Antwort: „Die Antwort (…) verbirgt sich hinter dem Schlüsselwort ‚reproduziert‘. Das soll heißen: Auch wer im Sinne des Antirassismus spricht, verbreitet Rassismus weiter, wenn er Rassismus zitiert. Absicht und Kontext sind also nachrangig, das Wort an sich ist böse. Es führt, so die Logik, ein Eigenleben, auf das der Mensch, der es ausspricht, keinen Einfluss hat. Ähnlich furchteinflößend dürften sich Konservative in Amerika die Macht von Schimpfwörtern vorgestellt haben. Wo eine Dame fluchte, schien das Verderben nicht weit.“ Mich erinnert die Diskussion an diesem skurrilen Punkt eher an Fantasy á la Harry Potter: Schon wer den Namen des Bösen, also Voldemort, ausspricht, erweckt ihn zum Leben.