BHATTI BROTHERS

Musikalische Grenzgänger

ZWISCHEN BIELEFELD UND BERLIN SIND VIVAN UND KETAN BHATTI EBENSO ZUHAUSE WIE ZWISCHEN KLASSIK UND JAZZ SOWIE NEUER, ELEKTRONISCHER UND POPULÄRER MUSIK. SIE LIEBEN DIE GRENZÜBERSCHREITUNG, DAS AUSLOTEN VON ZWISCHENRÄUMEN.
INTERDISZIPLINARITÄT UND TRANSZENDENZ SIND STICHWORTE, DIE SIE REIZEN. IMMER, WENN SICH VERSCHIEDENE KULTUREN BEGEGNEN, ETWA HIPHOP-BANDS UND DAS THEATER, WERDEN SIE NEUGIERIG.

Von ausgetretenen Wegen halten sie dagegen wenig. Spätestens bei dem Satz: „Das hat man schon immer so gemacht“ werden sie skeptisch. „Uns zieht es dahin, wo man auf Unerhörtes stößt“, betont Vivan Bhatti. Und deshalb sind die beiden Brüder genau die Richtigen für die Uraufführung von „Berlin Alexanderplatz“. Alfred Döblins 1929 erschienenen Großstadtroman setzt das Theater Bielefeld nämlich als spartenübergreifende Produktion um.
Dabei liefert das Schlüsselwerk der Moderne eine echte Steilvorlage für die beiden Komponisten. „Berlin Alexanderplatz ist ein Geräuschroman. Es geht viel um Klänge, und Alfred Döblin ist sehr akustisch in seinen Beschreibungen. Der Text ist schon Musik, was sollen wir da noch machen?“, lacht Ketan Bhatti. Eine ganze Menge, lautet die Antwort. Immerhin war die Frage, wie aus dem 700 Seiten starken, sprachlich komplexen Mammutwerk ein Musiktheaterstück für einen Abend werden sollte. „Die Aufgabe, eine verdichtete Geschichte daraus zu destillieren, hat Christiane Neudecker mit Bravour gelöst“, unterstreicht Vivan Bhatti. In enger Zusammenarbeit mit der Librettistin haben die Brüder den urbanen Sound komponiert. „Beim Lesen des Romans haben wir nach Anknüpfungspunkten und klanglichen Ideen gesucht“, erklärt Ketan Bhatti. „Wir haben uns in Verwandlungsprozesse begeben.“ So lassen sich im klanglichen Vokabular Schlager und Chansons der 1920er Jahre ebenso entdecken wie populäre Musik und Club Sounds von heute. Aber eben nicht als Zitat, sondern verwandelt zu etwas Eigenem. „Wir wollten der historischen Verortung Rechnung tragen, haben uns aber auch gefragt, wie eine Großstadt heute klingt“, ergänzt sein Bruder. „Die Stadt ist in dem Libretto selbst ein Hauptdarsteller, sie singt und spricht.“ Apropos „historische Verortung“: Anknüpfungspunkte hat das Komponisten-Duo so einige entdeckt. „Die musikalische Aufbruchstimmung der 1920er Jahre, die Entwicklung neuer Gattungen korreliert mit der heutigen Zeit, wo feste Kategorien ebenfalls aufbrechen“, erklärt Vivan Bhatti. „Allerdings wurde die Experimentierfreude dann jäh unterbrochen“, ergänzt Ketan Bhatti. „Progressives stößt auf reaktionäre Tendenzen.“ Nicht nur in der Musik, sondern auch in Gesellschaft und Politik. Die Sehnsucht, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben, erkennt er auch heute wieder. Nur einer von vielen guten Gründen sich auch nach fast 100 Jahren intensiv mit dem Meisterwerk auseinanderzusetzen.
www.theater-bielefeld.de
Premiere: 4.9., Stadttheater

Text: Stefanie Gomoll Foto: Janine Kuehn

VIVAN & KETAN BHATTI …

haben bereits als Teenager zusammen in Bielefelder Bands gespielt. Später studierte Vivan Bhatti klassische Gitarre an der Hochschule für Musik München und danach an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, während Ketan Bhatti Jazz Drums an der Universität der Künste Berlin studierte. Ihre gemeinsamen Arbeiten reichen von zeitgenössischer Kammermusik über experimentelles Musik- und Tanztheater, Bühnen- und Filmmusik, bis hin zu elektronischen Hip-Hop-basierten Produktionen. Ihre Musik ist u. a. fester Bestandteil der Inszenierungen von Nuran David Calis, der ebenfalls Bielefelder Wurzeln hat, sowie der Berliner Urban Dance Company Flying Steps. Ketan und Vivan Bhattis Musiktheaterstücke basieren auf Kooperationen mit Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Roland Schimmelpfennig, stellen Fragen zu Integration, Ausgrenzung, strukturellem Rassismus und wurden z. B. an der Neuköllner Oper oder der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin (ur-)aufgeführt.

www.bhatti-music.de

BIELEFELDER PHILHARMONIKER


DIE VORFREUDE AUF DIE KOMMENDE SPIELZEIT 23/24 IST IHM NICHT NUR ANZUSEHEN.

MITTWOCHSKONZERTE


Die Welt lässt sich auf ganz unterschiedliche Weise erschließen. Mit konkreten Reisen zu nahen oder fernen Zielen, aber auch durch das Eintauchen in vielfältige Klangwelten. Dazu lädt die Kulturwinter-Reihe „Mittwochskonzerte Musikkulturen“ ein. Insgesamt sechs Konzerte versprechen jeweils um 20 Uhr in der Rudolf-Oetker-Halle Hörerlebnisse der weltoffenen Art.

TUBA


Sie ist das Instruments des Jahres 2024 und nach dem Horn, der Posaune und der Trompete bereits das vierte Blechblasinstrument, das auf diese Weise in den Fokus rückt. Sie ist das tiefste Blechblasinstrument und gehört zur Familie der Bügelhörner. 1835 – von Wilhelm Wieprecht und Carl Wilhelm Moritz in Berlin patentiert – ging sie aus verschiedenen Vorläufer-Instrumenten hervor. Der Landesmusikrat Schleswig-Holstein kürt übrigens seit 2008 jedes Jahr ein Instrument des Jahres.

DER ZAUBER DES KLANGS


ALEXEJ GERASSIMEZ ER IST SO VIELSEITIG WIE SEIN INSTRUMENTARIUM, WANDELT ZWISCHEN KLASSIK, NEUER MUSIK, JAZZ BIS HIN ZU MINIMAL MUSIC UND TRIFFT MIT SEINEN KLANGWELTEN MITTEN INS HERZ. ALEXEJ GERASSIMEZ…