Team Tanz
Vier Köpfe – ein Herz
Simone Sandroni hat die künstlerische Leitung des Tanzensembles am Staatstheater zum Ende der letzten Spielzeit abgegeben. Jetzt übernimmt ein engagiertes Vierer-Team. Es besteht aus drei langjährigen Mitarbeitenden und einem Neuzugang, der bereits seit Dezember 2021 mit im Boot ist. Die vier Köpfe, Sarah Deltenre, Kerstin Tölle und Gianni Cuccaro sowie „der Neue“, Alban Pinet, verstehen sich nicht nur sehr gut. Ihre Herzen schlagen im Takt für die gleiche Sache.
„Die Tanz-Kompanie ist unsere Homezone, wir sind alle super connected“, bringt Kerstin Tölle die enge Verbindung des vierköpfigen Leitungsteams auf den Punkt. Gemeinsam verfügt das Team über 32 Jahre Bielefeld-Erfahrung. Die Projektmanagerin und Tanzvermittlerin der Community-Dance-Projekte Schrittmacher arbeitet bereits 12 Jahre für das Haus. Sarah Deltenre, die bisherige Stellvertretende Künstlerische Leiterin, hat ihre Arbeit vor sieben Jahren – und zwar zeitgleich mit Simone Sandroni – in Bielefeld aufgenommen. „Die einzige Sache, die sich ändert, ist die, dass ich jetzt Teil des Leitungsteams bin“, sagt die Belgierin, die sich schon während ihrer Zeit als aktive Tänzerin auch als Pädagogin und Choreografische Assistentin in Tanzkompanien, aber auch in der Schauspielerinnenausbildung engagierte. „Im Endeffekt arbeiten wir schon lange im Team“, fügt Gianni Cuccaro erklärend hinzu. „Der Spielplan für die Saison 2022/23 war schon im September 2021 weit fortgeschritten. Da haben wir wohl schon gespürt, was auf uns zukommt.“ Der gebürtige Italiener lebt seit 22 Jahren in Deutschland, 15 davon ist er Bielefeld und dem Haus verbunden. Nach seiner aktiven Zeit als Tänzer verantwortet er seit der Spielzeit 2017/18 u. a. als Künstlerischer Leiter die Community-Dance-Projekte Schrittmacher. Der Vorschlag, nach dem Weggang von Simone Sandroni als vierköpfiges Leitungsteam zu agieren, kam schließlich von Intendant Michael Heicks. „Wir versuchen schon lange, mit flachen Hierarchien zu arbeiten, darauf gründet auch sein Vorschlag“, so Sarah Deltenre. Die Kernverantwortung bleibt. Nur, dass jetzt alle vier diese auch für die Tanzsparte tragen. Neuzugang Alban Pinet, der das Vierer-Kollektiv komplettiert und Ende 2021 zum Theater Bielefeld als Tanz Company Manager und Dramaturg wechselte, reizt die Aufgabe. „Ich mag die Vorstellung von flachen Hierarchien. Es ist wichtiger denn je, die Zusammenarbeit neu zu denken und zu gestalten und einer dramaturgischen und künstlerischen Vision zu folgen. Eine wichtige Komponente wird es sein, im Gespräch darüber zu sein, wie die Tanzsparte aussehen kann“, sagt der Franzose. Erst Bordeaux, später Paris, dann Hamburg und schließlich Düsseldorf. Allein zehn Jahre tanzte Alban Pinet in Deutschland Ballett. 2012 stellte er in Hamburg seine erste eigene Choreografie vor. 201 schloss er sein Studium der Englischen Literatur mit dem Bachelor of Arts ab. Die Frage, was man damit als Tänzer macht, beantwortet er mit einem Lachen: „Natürlich Dramaturgie!“ Und so beendete Alban Pinet 2017 seine Tanzkarriere. Damit befindet er sich bei seinen neuen Kolleg innen in guter Gesellschaft. Denn die unterschiedlichen Erfahrungen, Ursprünge und Vergangenheiten sind es, von denen das neue Leitungsteam profitiert. Alle vier haben die Seiten gewechselt. Der Tanzsaal war ihr aller zuhause. Was sie eint, ist ihre Liebe zum Tanz und zur Bühne. „Wir alle lieben unsere Arbeit. Wir lieben Kunst, wir respektieren uns alle. Jeder hat eine andere Kraft“, betont Sarah Deltenre. Und der Blick über den Tellerrand bereichert. Ebenso, wie die Art des Austausches: Jeder bringt sich ein, jeder ist offen, jeder hört dem anderen zu. Das wird im Gespräch schnell deutlich. Für alles ist Raum. „Wir versuchen unsere Expertise einzusetzen, es gibt aber auch Aufgaben, die ‚uns gehören‘“, erklärt Alban Pinet. So arbeitet er zum Beispiel für die Tanzgala im Mai 2023, mit der 18 Jahre Bielefelder Tanztheater gefeiert wird, nur unterstützend. „Dramaturgie und Kompaniemanagement bleiben dagegen bei ihm verortet. Wer hat Kapazitäten und welche Fähigkeiten werden gerade gebraucht, ist für das Team ein wesentlicher Punkt bei der Aufgabenverteilung. „Und wir haben unser Ohr am Zuschauer und schauen, wie bei den Schrittmacherprojekten darauf, was diese wollen“, betont Kerstin Tölle. Spartenübergreifend zu denken und zu arbeiten, wie bei „Moby Dick“ (Premiere: 6.5.23), gehört ebenso dazu. Eine Produktion, bei der Schauspielerinnen, Musikerinnen und nicht nur ein Teil, sondern alle Tänzerinnen des Ensembles beteiligt sind. „Das letzte Mal gab es das vor gut fünf Jahren“, mutmaßt das Leitungskollektiv.
In der kommenden Saison stehen jedenfalls neben der Winterreise – mit dieser Produktion kehrt Gregor Zöllig nach acht Jahren zurück nach Bielefeld – für das Tanzensemble noch drei weitere Produktionen auf dem Programm. Dazu zählen „Land im Land“, die letzte Uraufführung der Projektreihe Dò – Dance Discovers Digital, mit der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch, sowie „Verkörpert“, eine weitere Uraufführung, die Lali Ayguadé und Sharon Fridman choreografieren. Die „Tanzgala“, mit der 18 Jahre Tanztheater am Theater Bielefeld gefeiert wird, bildet den Saisonabschluss. „Bei der Winterreise stehen Kerstin Tölle und ich beispielsweise im Studio“, macht Gianni Cuccaro auf die erste Produktion der neuen Saison aufmerksam.
Das Leitungsteam freut sich auf die neue Spielzeit. Das ist spürbar. Erwartungsvoll blickt Sarah Deltenre gleich auf mehrere Produktionen. „ ‚Die Winterreise‘ – ich habe noch nicht mit Gregor Zöllig gearbeitet, aber sehr viel Nettes gehört; bin aber auch schon sehr neugierig auf Stefanie Tierschs Digitalprojekt und treffe mit Lali und Sharon bei ‚Verkörpert‘ auf Vertrautes.“ Kerstin Tölle wiederum freut sich auf „das vertraute Gefühl“ beim Wiedersehen mit Gregor Zöllig und Alban Pinet schaut ebenfalls gespannt auf „Land im Land“. „Ich schätze diese Performance, in der alle Künste miteinander verschmelzen, dahinter steckt ein großer demokratischer Gedanke, der keiner ästhetischen Richtung folgt, aber darauf schaut, welche Mittel notwendig sind.“
Und Gianni Cuccaro richtet seine Augen bereits auf die „Tanzgala“.
„Es ist einfach schön, alte Kollegen wiederzusehen.“ „Der Überbau der Spielzeit könnte auch ein Wiedersehen mit Freunden heißen“, findet
Sarah Deltenre. „Genau, und als Abschluss gerät die Tanzgala im Mai
zum ganz großen Familientreffen“, strahlt Kerstin Tölle. „Bielefeld ist
schon ein besonderes Haus.“
Das hat auch schon Alban Pinet mit Blick auf die Kommunikationswege festgestellt. Die sind immer kurz, offen und unkompliziert. Und auch der Austausch zwischen den einzelnen Sparten ist selbstverständlich. „Das hilft beim kreativen Prozess enorm“, weiß Gianni Cuccaro. Dabei darf das neue Leitungsteam beim Tanzensemble auf vertraute Gesichter setzen. Denn alle Tänzerinnen haben sich nach dem Weggang von Simone Sandroni entschieden, zu bleiben. Für die kommende Spielzeit arbeiten sie mit fünf unterschiedlichen Choreografinnen. Eine spannende Herausforderung. Das sieht auch Sarah Deltenre so: „Schließlich sind es sehr unterschiedliche Choreografinnen. Mit ihnen kommt die Welt zu uns – sie stammen aus Spanien, Italien, Deutschland, Israel und der Schweiz. Für das Publikum wird es großartig.“ Und für das Tanztheater, das mit der Tanzgala seine Volljährigkeit zelebriert, sowieso. Es blickt an diesem Abend auf 18 Jahre seiner Geschichte. In dieser Zeit haben mehr als 30 Choreografinnen 70 Stücke auf die Bühne gebracht.
Termine:
WINTERREISE, GREGOR ZÖLLIG
Premiere 22.10.22, 19:30; Stadttheater
LAND IM LAND, D³ – DANCE DISCOVERS DIGITAL, URAUFFÜHRUNG, STEPHANIE THIERSCH
Premiere 14.1.23, 19:30, TOR 6 Theaterhaus
VERKÖRPERT, 2 URAUFFÜHRUNGEN, LALI AYGUADÉ, SHARON FRIDMAN
Premiere 25.3.23, 19:30, Stadttheater
TANZGALA – 18 JAHRE TANZTHEATER AM THEATER BIELEFELD
11.5.23, 20:00, Stadttheater
Text: Corinna Bokermann
Fotos: Philipp Ottendörfer