Sternstunden der Angstlust
SCHRECKENSSTARR UND SCHAUDERND VOR ANGST ZIEHEN WIR UNS IN DEN GEPOLSTERTEN KINOSESSEL ZURÜCK. DURCH DIE VOR DEM GESICHT GEFALTETEN HÄNDE BLINZELN WIR AUF DIE LEINWAND UND BEKÄMPFEN DAS GRAUEN MIT SOFTDRINKS, CHIPS UND POPCORN: UNTER DEM MOTTO „ANGST & BANGE“ PRÄSENTIERT DIE FRIEDRICH WILHELM MURNAU-GESELLSCHAFT STERNSTUNDEN DER ANGSTLUST.
Im 33. Jahr des Film+MusikFestes verwandeln sich die Rudolf-Oetker-Halle und das Kino Lichtwerk zu Orten der Verunsicherung und des Horrors. Doch neben der Spannung kommen auch die Komik und das Lachen zu ihrem Recht. Also: Augen auf – nur keine Angst! Obwohl: Angesichts des mörderischen Titelhelden des Eröffnungsfilms dürfte es dem Publikum tatsächlich angst und bange werden. Mit der einzigartigen Kulisse des Filmarchitekten Hermann Warm und einer doppelbödigen Handlung, die die allgemeine Verunsicherung der Menschen nach dem Ersten Weltkrieg in ikonische Filmbilder fasst, gilt „Das Cabinet des Dr. Caligari“ als Meilenstein des expressionistischen Films. Ein wenig durchatmen – auch wenn hin und wieder der Atem stockt – dürfen Cineasten dagegen beim Double Feature mit Harold Lloyd. Das Alleinstellungsmerkmal des Schauspielers war das Klettern auf Wolkenkratzern, für das der Begriff der „Thrill Comedy“ gefunden wurde. Legendär in der Komödie „Safety Last“, aber bereits „Never weaken“ besticht mit atemberaubender Artistik. Die wäre dem kerngesunden, aber schwerstleidenden Hypochonder, der in „Why worry?“ in furchtbare Verwicklungen gerät, allerdings nicht zuzumuten.
Kein Happy End gibt es dagegen in dem Film „Von morgens bis mitternachts“ von Karlheinz Martin nach dem gleichnamigen wegweisenden Theaterstück von Georg Kaiser. Das Stationendrama handelt von einem einfachen Bankangestellten, der aus seinem gutbürgerlichen, aber langweiligen Leben ausbricht. Mit „Faust – eine deutsche Volkssage“ folgt Friedrich Wilhelm Murnaus letzter deutscher Film, bevor er dem Ruf nach Hollywood folgte. Während die zeitgenössische Kritik zurückhaltend auf das romantisch-expressionistische Drama reagierte, ist die Bedeutung der Inszenierungskunst Murnaus in dieser „visuellen Oper“ (MurnauFilmpreisträger Eric Rohmer) heute unstrittig. Die Verbindung zum nächsten Film ist Hauptdarsteller Emil Jannings. In „Alles für Geld“ spielt er inmitten der Inflationszeit den unersättlichen Industriemagnaten Rupp, dessen Machtgier schließlich auch sein Sohn und seine Ehe zum Opfer fallen. Jannings‘ große Kunst besteht darin, diesem rücksichtslosen Despoten menschliche Züge zu verleihen.
Es folgt ein Spionagethriller in hermetischen Art-Deco-Kulisssen: Nachdem Fritz Langs Monumentalepos „Metropolis“ Erich Pommers Produktionsgesellschaft in die finanzielle Agonie getrieben hatte, produzierte Lang selbst mit wesentlich bescheidenem Budget diesen streng oberflächlichen Reißer. Mit seiner Ikonographie, etwa dem namenlosen Agenten „No. 326“, der internationalen Geheimorganisation unter dem Tarnnetz einer scheinbar hochseriösen Bank, dem Superschurken im Rollstuhl, der Infiltration durch russische Geheimagenten, der Verführung als Waffe und zahlreichen technischen Gimmicks zeichnet „Spione“ die „James Bond“-Verfilmungen verblüffend exakt vor. Zum Abschluss vereint das „Kino für Kurze“ die Giganten des Slapsticks in einem Kurzfilmprogramm für die ganze Familie.
www.murnaugesellschaft.de
Programm im Überblick:
19.10.23, 20:00, Rudolf-Oetker-Halle
Das Cabinet des Dr. Caligari
Regie: Robert Wiene, Deutschland 1920
Begleitung: Metropolis Filmorchester Berlin,
Dirigat Burkhard Götze
22.10.23, 17:00, Rudolf-Oetker-Halle
Double Feature Harold Lloyd
Never weaken, Regie: Fred C. Newmeyer USA 1921
Why worry? Regie: Fred C. Newmeyer, Sam Taylor, USA 1923
Begleitung: Cinematografisches Orchester Axel Goldbeck
26.10.23, 20:00, Lichtwerk
Von morgens bis mitternachts
Regie: Karlheinz Martin, Deutschland 1920
Begleitung: Daniel Kothenschulte, Klavier
29.10.23, 17:00, Rudolf-Oetker-Halle
Faust – eine deutsche Volkssage
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland 1926
Begleitung: Bielefelder Philharmoniker, Komposition und
Dirigat: Bernd Wilden
2.11.23, 20:00, Lichtwerk
Alles für Geld
Regie: Reinhold Schünzel, Deutschland 1923
Begleitung: Eunice Martins, Klavier
3.11.23, 20:00, Rudolf-Oetker-Halle
Spione
Regie: Fritz Lang, Deutschland 1928
Begleitung: Ensemble improCinema
5.11., 15:00, Rudolf-Oetker-Halle
Kino für Kurze mit Buster Keaton, Our Gang (Die Kleinen
Strolche), Stan Laurel & Oliver Hardy, Charles Chaplin
Begleitung: WANDERKINO