MARCUS BEUTER

Klangreise durch Asien

Ein anderer Blickwinkel auf die Welt

Zum Zeitpunkt des Interviews ist Klangkünstler Marcus Beuter noch unterwegs in Asien. Ein Jahr lang hat er auf seiner durch die Kunststiftung NRW und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Reise Material für seine neue Klanginstallation „von hier aus…“ gesammelt.

Welcher Weg hat Sie überhaupt zur Klangkunst geführt?

Eine gute Frage: warum interessiert uns etwas, wieso schlägt für etwas unser Herz? Ich habe immer ein großes Interesse am Zuhören gehabt. Und ich nehme Geräusche anders wahr als viele Menschen. Mich stören sie nicht, sondern ich empfinde viele als angenehm und interessant. Da kam der Weg zur Klangkunst fast zwangsläufig.

Wie ist die Idee zu dem aktuellen Projekt „von hier aus…“ entstanden, was hat Sie insbesondere an Asien gereizt?

Ich reise generell sehr gerne. Und ich reise gerne lang. Ich habe schon lange davon geträumt über Land nach Japan zu reisen. Und während der Einschränkungen während der Pandemie habe ich gedacht: wie lange willst du warten? Ich habe früher schon einige Reisen nach Asien unternommen. Nun hat mich gereizt, dass ich fast ausschließlich in Länder kommen werde, in denen ich noch nicht gewesen bin. Dazu kommt, dass wir über einen Teil der Länder – besonders in Zentralasien – sehr wenig wissen, während wir über andere wie China, Japan oder Russland sehr starke Bilder haben, diese aber selten die Lebensrealität der Menschen widerspiegeln.

Bei dem Projekt „von hier aus…“ geht es darum, dass wir alle verschieden auf die Welt schauen. Und diese Sichtweise wird unter anderem dadurch geprägt, wo wir aufwachsen, wo wir leben, welche Länder Einfluss auf unser Land haben, mit wem wir Handel treiben, etc. Ich habe neben den Klangaufnahmen über 50 Interviews mit Menschen unterwegs geführt, immer in ihrer Muttersprache. Dadurch habe ich nun Material in 16 verschiedenen Sprachen. Und allein die Frage, wer wo welche Sprache(n) spricht, welche Sprache Verkehrssprache ist, gibt schon viel Auskunft. Ich bin für diese Begegnungen sehr dankbar, da sie mir oft neben den eigentlichen Interviews viele andere Einblicke ermöglichten.

Könnten Sie grob Ihre Reiseroute skizzieren?

Die Reise startete in Kasachstan am Kaspischen Meer und führte zuerst durch Zentralasien: durch Usbekistan, Tadschikistan (dort über das Pamir Gebirge) nach Kirgisistan mit einem kurzen Abstecher erneut nach Kasachstan. Von Kirgisistan fuhr ich über das Tien Shan Gebirge nach China, das ich inklusive eines Abstechers nach Tibet durchquerte. Es folgten Aufenthalte in Hongkong, Macau und Taiwan. Die Reise führte durch Südost- und Ostchina bis Peking und ging über Südkorea nach Japan. Die Rückreise von Japan führte wieder durch Südkorea nach Russland und von dort ins Baltikum, um von dort mit der Fähre nach Deutschland zurückzukehren. Sie dauert ziemlich genau ein Jahr.

Wie aufwändig war die Vorbereitung?

Die intensiveren Vorbereitungen haben in etwa ein Jahr in Anspruch genommen. Das Projekt wollte geschrieben werden, Anträge zur Finanzierung gestellt. Dazu kamen die sich zu der Zeit noch immer ständig ändernden Einreiseregeln oder gar -verbote für viele Länder. Es war auch lange unklar, in welche Länder man nur gegen Covid geimpft einreisen darf. Und welcher Impfstoff dort dann anerkannt wird. Letztlich war dies aber nirgends mehr notwendig und ich hatte das Glück, dass viele Länder ihre Grenzen wieder öffneten.

Dies betrifft zum Beispiel auch die Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan, die auf Grund von Grenzstreitigkeiten seit einem Jahr geschlossen war und einen Monat vor meiner Reise über das Pamir Gebirge zumindest für Touristen mit einer gesonderten Erlaubnis wieder passierbar war.

Gab es vorab feste Anlaufpunkte, eventuell Künstler*innen, mit denen Sie bereits zusammengearbeitet haben?

Für mich stand der Wunsch meiner Reiseroute bis Hongkong fest. Allerdings war fast alles optional und unterwegs anpassbar. Der wichtigste Fixpunkt war das Visum für China, weil ich bis zu einem gewissen Zeitpunkt eingereist sein musste.

Es gab keinerlei künstlerische Kontakte, auf die ich zurückgreifen konnte.

Unterwegs haben Sie auch Konzerte gegeben, warum war Ihnen das wichtig?

Ich habe Konzerte in Taiwan, China und Japan gegeben. In Hongkong Taiwan und Japan hatte ich einige intensivere Begegnungen mit anderen Künstler*innen. Ich finde dies immer sehr inspirierend und freue mich über den Austausch. Gerade die freie Improvisation ermöglicht ja Begegnungen, die ansonsten durch Sprachbarrieren erschwert sein können. Ich habe sehr spannende und aktive Künstler*innen getroffen, viele von ihnen gehen auch Risiken für ihre Kunst ein, die wir uns oft nicht bewusst machen.

Können Sie ein, zwei ganz besondere Momente Ihrer Reise beschreiben?

Als ich in Tacht-i-Sanghin im südlichen Tadschikistan das erste Mal an der Grenze zu Afghanistan stand, außer mir nur noch ein Fahrer/Übersetzer und ein junger tadschikischer Soldat und wir über den Fluss in das Nachbarland schauten, dieser Moment hat mich sehr berührt. Das Land ist seit so vielen Jahrzehnten Spielball der unterschiedlichsten Interessen und Mächte. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass es zu meinen Lebzeiten noch möglich sein wird dorthin zu reisen.

Darüber hinaus hat mich Tibet sowohl überrascht als auch berührt. Ich hatte befürchtet in eine Folklore-Show für chinesische Touristen zu geraten. Und obwohl die Zerstörungen und die Unterdrückung der Besatzung sicht-, spür-, und hörbar sind, gibt es immer noch eine unverkennbare sehr starke tibetische Kraft. Ob sie ausreicht, ist eine ganz andere Frage.

Was ist Ihnen unterwegs vielleicht auch schwergefallen?)

Am schwierigsten war es definitiv als Vegetarier durch alle diese Länder zu reisen. Ansonsten war es natürlich eine große Herausforderung ständig zu planen, Bus- oder Zugverbindungen herauszufinden, Übernachtungen zu buchen. Und für einige Regionen benötigte ich auch spezielle Genehmigungen.

Dazu kam, sich in wechselnden Kulturen auf die Gegebenheiten einzustellen und sich adäquat zu verhalten. Vor allem, da ich aus einer Kultur komme, in der oft sehr geradlinig Ja oder Nein gesagt wird. Unterwegs galt es herauszuhören, wann ein Ja auch als solches gemeint war.

Hinzuzufügen wäre, dass es ohne die große Unterstützung vieler Menschen zu Hause nicht möglich gewesen wäre, diese Reise so durchzuführen

Mit welchem Equipment sind Sie unterwegs, um die Klänge einzufangen?

Mein Equipment für die Reise musste möglichste einfach und robust sein. Grundgerät ist ein Handrekorder, an den sich unterschiedliche Mikrofone anschließen lassen.

Wie haben Sie sich als Künstler aufgenommen gefühlt?

Ich habe mich überall sehr gut aufgenommen gefühlt. Die Auskunft Künstler zu sein öffnet häufig eine Tür. Die Menschen sind interessiert, was man genau macht und so komme ich über mein Projekt ins Gespräch. Und dieses Projekt interessierte alle, mit denen ich darüber gesprochen habe. Denn es hat zum Kern eine Fragstellung, an die wir alle im Alltag nicht denken, die aber wichtig ist, um uns der verschiedenen Sichtweisen bewusst zu werden.

Gibt es in Asien neben der traditionellen und der Popmusik auch eine eigene Klangkunst-Kultur?

Die Klangkunst-Kultur ist international. Und zugleich gibt es lokale Ausprägungen. Wie generell in der Musik ist der Austausch zwischen Ländern und Kontinenten hoch. Eine Klangkunst-Kultur für ganz Asien definieren zu wollen ist allerdings sicherlich nicht hilfreich. Zu sehr unterscheiden sich die Szenen allein in Vietnam, Indonesien, China oder Japan.

Haben Sie selbst ein anderes Verständnis von der Klangkultur Asiens (bzw. einiger Länder dieses riesigen Kontinents) gewonnen?

Ich finde es gerade schwierig diese Frage zu beantworten. Vielleicht benötige ich erst etwas Abstand. Zur Zeit des Interviews bin ich noch mitten in dieser Klangkultur und empfinde alles als „normal“.

Abgesehen von der Sprache: Woran hört man im Alltag sofort, dass man sich nicht in Europa befindet?

Ich denke, oft klingt es sehr ähnlich. Am auffälligsten sind sicherlich die Klänge der verschiedenen Religionen, dann auch die Märkte. Interessant wird es in den Kleinigkeiten. Ampelsignale, Melodien einfahrender U-Bahnen oder Länder, in denen die Müllabfuhr sich über Lautsprecher ankündigt.

An welchen Orten haben Sie das Material gesammelt und warum gerade dort?

Ich habe überall Material gesammelt. Da gibt es für mich keine Hierarchie. Vieles klingt für mich interessant. Natürlich habe ich für das Projekt versucht die ganze Reise akustisch einzufangen, um auch die unterschiedlichen Orte hörbar machen zu können. Ansonsten interessiert mich der Wind in den Bergen ebenso wie das Meeresrauschen ebenso wie das Klappern einer defekten Lüftung oder die nächtliche Atmosphäre auf einem kleinen Platz in einer Metropole.

Was soll die fertige Klanginstallation am Ende für die Zuhörer*innen transportieren?

Wie oben beschrieben geht es mir um verschiedene Sichtweisen. Wenn es Zuhörer*innen inspiriert mal aus einem anderen Blickwinkel auf die Welt zu schauen, dann ist viel gewonnen. Die Interviews werden zu diesem Zweck auch übersetzt vor Ort ausliegen.

Wird die Klanginstallation perspektivisch auch in Bielefeld zu hören sein?

Das wäre ein großer Wunsch. Momentan steht es noch nicht fest. Ich würde mir wünschen, dass ein Ort dafür auf mich zukommen würde.

Und noch kurz ein Ausblick auf „Endloser Terror“: Was verbirgt sich dahinter?

„Endloser Terror“ ist eine mehrräumige Klanginstallation, die sich mit Auschwitz auseinandersetzt. Sie wird in Bielefeld zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers im Januar 2025 zu hören sein. Der Titel bezieht sich darauf, dass wir – zurecht – bei Auschwitz zumeist als erstes an die Ermordung der Menschen denken. Dabei geht oft verloren, dass eben diese Menschen einem perfiden allumfassenden Terror bis zu ihrer Ermordung ausgesetzt waren.

Marcus Beuter…

ist Klangkünstler, Improviser und Komponist elektroakustischer Musik. Im Fokus seiner Arbeit stehen field recordings, die er auf Reisen weltweit aufnimmt. Hinzu kommen diverse Interviewprojekte zu sozialen Themen und der Rezeption verschiedener Kulturen. Er spielt in verschiedenen Ensembles und als Solist und tritt mit Künstler*innen unterschiedlicher Genres auf. Seine Kompositionen wurden auf Festivals in Europa und Nordamerika präsentiert, seine Installationen neben Deutschland auch in Armenien und Georgien gezeigt. Er koordinierte und organisierte Großprojekte wie u. a. das Soziale Kunstwerk bielefelder SCHWÄRME mit 800 Teilnehmenden. Beuter ist Mitbegründer des Labels fragmentrecordings, im Vorstand der Cooperativa Neue Musik und der Capella hospitalis.

www.marcusbeuter.de

Termine:

1.9.-20.10.24 Klanginstallation „von hier aus…“, Kunstverein Bochum

1.9.24 RadKulTour mit dem Trio Geplante Obsoleszenz, Bielefeld Sennestadt

2.9.24 Jour fixe bei der Cooperativa Neue Musik zur Klanginstallation„von hier aus…“,Capella hospitalis Bielefeld

15.9.24 Konzert des Cooperativa Ensembles, Bielefeld

3.11.-15.12.24 Klanginstallation „von hier aus…“, Kunstverein Kreis Gütersloh

10.11.24 Bericht zur Recherchereise zu „von hier aus…“, Melle

16.11.24 Konzert des Cooperativa Ensembles mit der Klanginstallation „von hier aus…“, Gütersloh

7.1.25 Jour fixe bei der Cooperativa Neue Musik zu der Klanginstallation „Endloser Terror“, Bielefeld

22.1.-27.1.25 Klanginstallation „Endloser Terror“, Bielefeld

MITTWOCHSKONZERTE


Die Welt lässt sich auf ganz unterschiedliche Weise erschließen. Mit konkreten Reisen zu nahen oder fernen Zielen, aber auch durch das Eintauchen in vielfältige Klangwelten. Dazu lädt die Kulturwinter-Reihe „Mittwochskonzerte Musikkulturen“ ein. Insgesamt sechs Konzerte versprechen jeweils um 20 Uhr in der Rudolf-Oetker-Halle Hörerlebnisse der weltoffenen Art.

ÜBER GRENZEN HINAUSGEHEN


DER ERSTE POSITIVE EINDRUCK, DEN FELIX LANDER BEREITS BEI DER SPIELPLAN PRESSEKONFERENZ – NOCH PER VIDEO ZUGESCHALTET – HINTERLASSEN HAT, BESTÄTIGT SICH IM DIREKTEN GESPRÄCH.

NEUE NAMEN


Das Gute liegt manchmal so nah. Asami Yoshihara, die sich zurzeit an der Musikhochschule Münster in der Klasse von Prof. Michael Keller auf ihr Konzertexamen vorbereitet, war schon während ihrer Studienzeit mehrfach Stipendiatin und erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise bei nationalen wie internationalen Musikwettbewerben.

VON BETHEL AUF DIE BÜHNE


WIE GEHT ES IHNEN HEUTE? WARUM DIESE SCHEINBAR FREUNDLICHE, WOHLWOLLENDE FRAGE ZUM ALPTRAUM WERDEN KANN, HAT DIE AUTORIN ANNE JELENA SCHULTE BEI DEN RECHERCHEN ZU IHREM NEUEN STÜCK ERFAHREN.